Niklas Luhmann: Vertrauen

Über Vertrauen wird viel geschrieben. Mancher bezeichnet es als „wichtiges Schmiermittel des sozialen Systems“ (Arrow) , das nur existiert, wenn eine Partei Zutrauen in „Zuverlässigkeit und Integrität“ (Morgan und Hunt) der jeweils anderen hat. Dann wird Vertrauen als Erwartung bezeichnet „in den Willen und die Fähigkeit eines Partners, sich im Interesse einer Beziehung zu verhalten.“

Meist  wird mit Vertrauen eine moralisch legitimierte Forderung verbunden, die sich auf Fähigkeiten, Kompetenzen, Ehrlichkeit und/oder Absichten eines Akteurs bezieht. Weil Vertrauen ganz offenkundig eine gewaltige Rolle für das Zustandekommen von sozialen Erfolgen aller Art zu spielen scheint, wird es allenthalben beschworen, seine Wichtigkeit wird betont und moralisch gefordert.

Nur: Wie funktioniert Vertrauen, wie kommt es zustande und was bewirket es? Nach Niklas Luhmann, dessen gleichnamiges Buch inzwischen zu den soziologischen Klassikern zählt, ist Vertrauen – rein funktional betrachtet – schlichtweg ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität.

stellt nicht die wachsende Komplexität der Umwelt – also Zunahme externer Einflussfaktoren – das entscheidende Problem dar; vielmehr ist es die innere Komplexität (d.h mehr Organisation, zunehmender Kontroll-Aufwand usw.), welche ein System zu überlasten drohen – es wird immer schwerfälliger und unbeweglicher. Menschliche Systeme (Menschen oder menschliche Sozialgebilde) müssen immer wirksamere Formen zur Reduktion von Komplexität entwickeln. Ein Mittel dazu ist Vertrauen, weil es den Kontrollaufwand geradezu schlagartig reduziert. Denn wer vertraut – so Luhmann – der gewährt einen Vorschuss: „Wer Vertrauen erweist, nimmt Zukunft vorweg.“ Allerdings birgt so ein Vertrauensvorschuss einen Nachteil: Es steigt das Risiko, daß das Vertrauen missbraucht wird. Entscheidend ist nach Luhmann also immer, wie ein System ein austariertes Verhältnis zwischen Vertrauen und Kontrolle entwickelt.
Erweitert man den Vertrauensbegriff, dann kann man Vertrauen auch losgelöst von personalen Vertrauensbeziehungen als “Systemvertrauen„ deuten. Voraussetzung für diese Art des Vertrauens ist, daß unabhängig von Personen ein abstraktes System oder Netzwerk existiert, in welches das Vertrauen investiert werden kann. Im Hinblick auf den Einsatz elektronischer Kommunikationsmedien, oder auch des Internet zeigt sich Lehmanns Aktualität. Es bedeutet schießlich nicht Anderes, als dass im “System genug Kontrollen der Zuverlässigkeit eingebaut sind und dass diese Kontrollen unabhängig von den persönlichen Motivationsstrukturen des jeweils Beteiligten funktionieren, so dass er diejenigen, die das Wissen erarbeitet haben, nicht persönlich zu kennen braucht.“ Im Umkehrschluss kann man aus Luhmann´s Theorie des Vertrauens aber auch ableiten, daß der zuvor gewährte Bonus an Systemvertrauen, den man den Systemen als Vorschuss gewährt hat, umso schneller wieder entzogen ist, wenn die eingebauten Kontrollen den Kriterium der Unabhängigkeit eben nicht genügen. Anders ausgedrückt: Je mehr kontrolliert, überwacht und geschnüffelt wird, desto weniger Vertrauen „verdient“ das System.

Und das ist nun eine analytische Aussage ganz und gar ohne moralischen Anspruch. Das Buch von Niklas Luhmann, vor rund dreissig Jahren entstanden, zählt inzwischen zu den soziologischen Klassikern. Es sei hiermit allen empfohlen, die sich ernsthaft und ohne Ressentiment mit der Rolle des Vertrauens im sozialen Zusammenleben beschäftigen wollen.

Literatur: Niklas Luhmann „Vertrauen“ (2000), UTB Uni-Taschenbücher, Bd. 2185

148 Seiten, ISBN–13: 9783825221850 ISBN–10: 3825221857

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