So halten Sie Workshops mit befreiender Wirkung (Liberating Structures)

Viel ist heute von partnerschaftlichen Unternehmenskulturen die Rede, aber wie bringt man Menschen dazu, sich wirklich partnerschaftlich zu verhalten? Als Coach oder Consultant stehe ich oft vor der Herausforderung, Gruppen und Teams mit unterschiedlichen Menschen zur konstruktiven Lösung ihrer Probleme zu führen, obwohl dies durch lebenslang antrainiertes Dominazverhalten, Konkurrenz und Widerstand auf der anderen Seite konterkariert wird.

Das führt in der Praxis meist zu endlosen Diskussionen und Scheinlösungen, die wiederum Widerstand hervorrufen und so weiter. So sind wir Coaches und Berater als „Agenten des Wandels“ stets auf der Suche nach neuartigen Wegen und Methoden, um Menschen dabei zu unterstützen, als Gruppe, Team oder Organisation komplexe Probleme auf bessere Weise zu lösen – und die Lösung auch tatsächlich zur Wirkung zu bringen.

Teamwork und Kooperation sind in der Praxis- auch wenn viel darüber theoretisiert und philosophiert wird – immer noch nicht in den schulischen Curricula, Ausbildungen und Uni-Studien verankert. Die meisten Menschen haben während Schule und Ausbildung gelernt, sich unterzuordnen, bequem und passiv Lektionen, Vorträgen und Präsentationen zu folgen, gesagt zu bekommen, was sie zu lernen und wie sie das vermittelte Wissen zu benutzen haben.

Sie sollen gehorchen und abwarten, bis sie „von oben“ den Auftrag bekommen. Sie sind es gewohnt, Befehle zu erhalten und anderen Befehle zu erteilen, auch wenn man Befehle heute „Aufgaben“ oder „Challenges“ nennt. Wir werden durch Lehrer, Schulen und Betriebe auf Wettbewerb, individuelle Leistung und Konkurrenz getrimmt. Wenn wir Glück haben, lernen wir kooperatives Verhalten in einer guten familiären Umgebung – viele von uns haben aber nicht dieses Glück.

Kooperation ist aber der Kitt, der unsere Gesellschaften zusammenhält. Kooperatives Verhalten ist genau das, worauf In heutigen Berufsleben am meisten ankommt. Das Buch und die Webseite “Surprising Power of Liberating Structures” (http://www.liberatingstructures.com/) , die von Henri Lipmanowicz und Keith McCandless entwickelt und ins Netz gestellt wurden, adressiert dieses Problem.

Die beiden laden uns ein, die Art und Weise, wie wir lehren und lernen auf den Prüfstand zu stellen und dabei die Pflege der Beziehungen bei beruflichen und persönlichen Entwicklungen in den Mittelpunkt zu stellen. Wirklich partnerschaftliches Verhalten verlangt nach neuen Formen der Kooperation und Teamarbeit. Wir brauchen neue Modelle, um Partizipation beim Lernen und bei der Arbeit zu fördern.

Das Buch und webbasierte Ressourcen stehen freundlicherweise unter Creative Commons Lizenz und sind frei verfügbar. Wir finden dort eine eine Sammlung von zur Zeit insgesamt 33 Formaten, mit der wir alle möglichen Gruppenaktivitäten so gestalten können, dass freier Informationsaustausch, Entscheidungen in der Gruppe und Beteiligung aller sich ungehindert von Vorurteilen und Machtstrukturen entfalten können.

Vieles daraus kennt man als Consultant bereits aus anderem Kontext. Die Kärtchen-Methode des Quickborner Teams ist seit Jahrzehnten geläufig, mit Open Space Techniken kam man vielleicht auch schon einmal in Berührung, SCRUM und agile Techniken sowieso, verschiedene Kreativitätstechniken gehören auch zum Repertoire. Und auch im schulischen Umfeld gibt es viele Lernformate, die im Gegensatz Was also genau ist das Besondere und das Neue daran?

Was mir persönlich an den Liberating Structures gefällt, das sind vor allem drei Dinge:

  • Erstens sind die Strukturen alltagstauglich. Sie sind gut beschrieben und so leicht zu erlernen, dass jedes Teammitglied sie nach einer gewissen Zeit anwenden kann. Es braucht keine Strategieberater, um sie zu verstehen, die Teams können auf einfache Weise lernen, sie selbst zu gebrauchen.
  • Zweitens sind sie modular aufgebaut. Man benutzt sie wie einen Werkzeugkasten. Für viele Situationen in Projekten und Teams Projekt sind sie sofort einsetzbar, vor allem wenn es um Abstimmungen und Entscheidungen geht. Das Spektrum reicht von kurzen Interventionen (wenige Minuten) bis zu umfangreicheren Formaten (z.B. Workshop, mehrstündig).
  • Drittens sind sie vollkommen frei von direktiven Vorgaben. D.h. es ist immer Mitglieder von Team oder Gruppe selbst, welche inhaltliche Fragen und Entscheidungen miteinander aushandeln. Insofern entfällt auch der Verdacht der Manipulation, welchem man als Coach und Berater manchmal ausgesetzt ist.

Ich setze sie zur Zeit in Seminaren mit bis zu 30 Mitwirkenden und in kleineren Projekten ein. Immer dann, wen es darum geht, Projekt-Teams oder Seminargruppen zu kooperativem Verhalten anzustiften, schaue ich gerne in das Methodeninventar der Liberating Structures. Denn indem ein Team sich selbst in die Lage versetzt, sich zu steuern, seine Probleme zu lösen, und mit seiner Umwelt zu interagieren, werden oft Lösungen möglich, an die man vorher kaum zu denken wagte.

Gut gefallen haben mir auch Auch die Werte und Prinzipien, die die Autoren dieser Sammlung explizit formulieren bei dem Entwurf und der Weiterentwickliung auch anwenden:

  • Alle im Team mitnehmen und einbeziehen.
  • Anderen und ihren persönlichen Lösungen echten Respekt erweisen.
  • Niemals ein Vorhaben ohne klare Vorstellung vom Sinn und Zweck (purpose) zu beginnen.
  • Beständig Vertrauen aufzubauen.
  • Lernprozesse als Lernen aus Fehlern (failing forward) zu begreifen.
  • Praxis der Selbstreflexion in einer Gruppe entwickeln.
  • Verantwortliches und selbstbestimmtes Handeln verstärken.
  • Denken in Möglichkeiten: An etwas glauben, bevor man es sehen kann.
  • Das Gutheissen von kreativer Zerstörung, durch welche Neues erst entstehen kann.
  • Das neugierige Spiel ernsthaft betreiben.

Aus meinen Erfahrung heraus zeigt sich bei der Anwendung der Liberating Structures der praktische Wert partnerschaftlichen Verhaltens sehr schnell. Jedenfalls erhalte ich aus meinen Seminaren häufig überraschtes Feedback, wie „schnell und einfach wir so zu einer einvernehmlichen Lösung gekommen sind“.

Wie man es lernt? Einfach mal ausprobieren! Deshalb ist mein Vorschlag auch: Buchen Sie kein teures Seminar. Probieren Sie es einfach aus. Wenn Sie mögen, schicken Sie mir einen Bericht oder ein kurzes Feedback, wie es gelaufen ist. Ich zum Beispiel habe einfach angefangen, mit dem Buch und der Webseite von Daniel Steinhöfer zu arbeiten. Ich suche mir zu den jeweiligen Aufgaben eine passende Struktur und wende sie an, wenn ich etwas Passendes gefunden habe. Häufig nutze ich „1-2-4- all“, neulich einen so genannten „Gallery Walk“ im Rahmen einer Abschluss-Sitzung eines Seminars.

Steinhöfer befasst sich mit dem Thema natürlich schon länger liefert jede Menge Stoff. Er baut seine Methodensammlung rund um das Thema Entscheidungsfindung auf, aber gibt natürlich auch andere Anwendungen. Auf seiner Webseite, https://liberatingstructures.de/author/daniel/ finden sich viele Anregungen zum Ausprobieren. Link zum Buch: https://www.vahlen.de/steinhoefer-liberating-structures/product/26064042

Wer konkrete Anwendungsbeispiele braucht, sollte ich das Buch von Anja Ebers und Birgit Nieschalk ansehen: „Einfach zusammen arbeiten.“ Die beiden herausgeberinnen habe eine Reihe von Berichten aus der Praxis aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammengetragen.

Wer es noch intensiver mag, kann sich vernetzen. Mittlerweile gibt es rund um die Liberating Structures weltweit eine kleine, aber rege Nutzergemeinde, auch in Deutschland ist sie zur Zeit mit sogenannte. User Groups in 14 Städten vertreten. (link. https://liberatingstructures.de/community/)

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