Üben, Üben, Üben …

Weshalb das Üben so wichtig ist und weshalb so wenige sich daran halten

“Übung bringt Kunst”, „Übung macht den Meister“,  oder auch:  “Übung ist der beste Schulmeister” – bestimmt kennen Sie diese alten deutschen Sprichwörter. Befragt man das chinesische Weisheitsbuch I Ging, bekommt man immer wieder den Spruch “Beharrlichkeit bringt Heil.” Solch uralte Weisheiten gründen in Einsicht in das menschliche Leben und Lernen und gelten für alle Lebensreiche.

Nur nicht heute und nicht für Betriebe, Schulen und Universitäten. Die Frage ist: Warum fällt es heute vielen Menschen so schwe zu begreifen, daß das permanente Üben ausschlaggebend für den ernerfolg ist – und zwar lebenslang?

Musikvirtuosen wie Wladimir Horowitz (1903–1989) oder der kürzlich verstorbene Jazzklarinettist Rolf Kühn übten auf ihrem Instrument bis ins hohe Lebensalter. Sie wussten ganz genau, dass das lebenslange Üben Basis ihrer Erfolge ist. Bei Pianisten geibt es den Spruch: „Ich übe, bis ich Leben in meinen Fingern habe. Auch wer je eine Programmiersprache erlernt hat weiß, dass es Zeit und viel Übung braucht, bis man sie wirklich beherrscht.

Das gilt auch für das Schreiben. Der berühmte Soziologe Luhmann erklärte in einem Interview mit Rainer Erd und Andrea Maihofer (Merve 1987), dass er praktisch täglich und fast immer schreibe (was letztlich auch eine Form des Übens ist). Ohne das Schreiben fehle ihm etwas, etwa dann, wenn er auf Reisen sei.

Auch für Aufgaben des Managements hebt Frank Arnold in der Zeitschrift Capital die Bedeutung des Übens hervor, welches in diesem hektischen Umfeld ganz besonders wenig anerkannt sei.

Klar: Wie soll so eine aufstrebende Führungskraft in einem Umfeld, in dem sie von einer Sitzung nur nächsten hetzt und ständig mit Emails, Chatnachrichten und anderen Wichtigkeiten bombardiert wird, eigentlich Zeit zum Üben finden? Wo finde ich an einer Schule oder Uni heute noch genug Übungsgelegenheiten bei all dem Zeit- und Prüfungsdruck?

Eine Dozentin teilte mir neulich eine Erkenntnis aus ihrem Unterricht mit.  “Hausaufgaben aufgeben bringt nix.” meinte sie.
“Wieso denn das?” fragte ich zurück.
“Na ja”, meinte sie "die werden halt nicht gemacht."
“Und deshalb gibst Du keine auf und lässt in Deinem Unterricht üben?”
“Genau.” meinte sie. "
”… und genau deshalb lernen sie auch nicht genug. Weil nämlich in den zwei Stunden, die Du wöchentlich unterrichtest, einfach nicht genug Zeit zum Üben ist."  “Und wie soll ich sie dann bitteschön zum Üben bringen? Soll ich sie etwa bestrafen oder in die Ecke stellen, wenn sie ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben wie Pauker in in früheren Zeiten?”

Meine Kollegin hat kapituliert. In diesem kurzen Dialog mit ihr kommt ganz deutlich das Dilemma zum Ausdruck, das heute in Betrieben, in Schulen und Hochschulen herrscht. Wissen ohne Fähigkeiten sei unproduktiv heißt es. Wissen sei die Basis, auf der Fähigkeiten aufsetzen müssten, aber Wissen könne Fähigkeiten nicht ersetzen. Das ist unbestreitbar richtig. Aber wie sollen Fähigkeiten ohne Üben entstehen?

Es ist ganz offenbar in allen Disziplinen so, daß einerseits nur beharrliches und zeitraubendes Üben zu beeindruckenden Erfolgen führt, während andererseits gleichzeitig überall an der Zeitschraube gedrehtwird. Zeitdruck und jede Menge Ablenkungen werden produziert, die einem vom Üben abhalten. Die Wichtigkeit von Kompetenz (wie auch immer man das definieren mag) wird betont, Geschwindigkeit, Präzision und konstante Erbringung von Leistungen seien das Wesentliche, um kompetent oder gar brillant zu werden.

Das aber ist nur um den Preis ständigen Übens zu erlangen. Kompetenz muss man sich mit viel Zeitaufwand er-üben und genau dafür stiehlt man uns überall die Zeit. Das ist das allgegenwärtige Dilemma, in dem wir uns befinden. Wie kommen wir aus der Nummer wieder heraus? Die naheliegende Lösung, die heute überall propagiert und angeboten wird heißt: Mehr! Mehr Aufsicht, mehr Kontrolle, noch mehr Druck. Etwa durch Ganztagsunterricht, Hausaufgabenbetreuung, ausgefeilte Managementkonzepte, wohlmeinende Betreuungsangebote, Maßnahmen und Bevormundung aller Art.

Ich halte dies für einen fundamentalen Irrtum, denn es nimmt denen, auf die es ankommt: diejenigen, die in Schule Betrieb, Uni der irgendwelchen Maßnahmen des Jobcenters kompetenter werden sollen, das Wesentliche weg: Die Verantwortung für das eigene Tun und lassen. Es ist doch ganz einfach so: Wenn Du es nicht nicht schaffst, aus eigenem Antrieb immer wieder zu üben, dann wirst Du scheitern. Für uns als Lehrkräfte heißt dies ganz einfach, loszulassen und zu akzeptieren, dass es so ist wie es ist. Und für uns als Lernende heißt es: Weitermachen, Üben und sich den nötigen Freiraum dafür auch gegen innere und äussere Widerstände zu verschaffen. Wenn man das erst einmal verstanden hat, kann das Lernen mit der Zeit immer leichter werden.

In einer Klasse von Fachinformatikern, die ich an einer Bildungseinrichtung auf die IHK-Abschlußssprüfung vorbereiten durfte, kam einmal ein Schüler zu mir und bat mich, ihn vom gemeinsamen Üben freizustellen, ihm die Prüfungsaufgaben mitzugeben und ihn alleine üben zu lassen, denn so zu lernen sei leichter für ihn. Ich gestattete ihm dies natürlich. Dieser Schüler schnitt nicht nur als bester seines Jahrgangs ab, sondern wurde später auch Leiter eben jener Bildungseinrichtung.

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