Ist es zeitgemäß, den Lebensunterhalt zu verdienen?
„Wir sollten mit dieser vollkommen in die Irre führenden Auffassung aufräumen, nach der jedermann seinen Lebensunterhalt zu verdienen hat. Es ist heutzutage eine Tatsache, daß eine einzige unter zehntausend Personen einen technologischen Durchbruch ermöglichen kann, der alle anderen versorgt. Die Jugend von heute hat vollkommen recht, wenn sie dieses „Den Lebensunterhalt verdienen“ für Blödsinn hält. Wir erfinden mit der falschen Idee, man müsse jedermann mit einer Art Plackerei beschäftigen, andauernd neue Jobs, weil nach der malthusianisch-darwinistischen Theorie jedermann sein Recht auf Existenz zu rechtfertigen hat.
(Richard Buckminster Fuller, 1895 − 1983 im Jahr 1970. (eigene Übersetzung)
Also haben wir Kontrolleure der Kontrolleure und Leute, die Instrumente für Kontrolleure herstellen, mit denen wiederum Kontrolleure kontrolliert werden. Die wirkliche Aufgabe von Menschen sollte es doch sein, noch einmal in die Schule zu gehen und nachzudenken, worüber auch immer man nachdachte, bevor irgendjemand daherkam und den Menschen verkündete, man hätte seinen Lebensunterhalt zu verdienen.“

Der Erfinder, Architekt und Visionär „Bucky“ Fuller , wie ihn seine Fans liebevoll nannten, ist uns wohl am ehesten für die Erfindung der geodätischen Kuppel bekannt (siehe Bild). Er steht für den Glauben an technoliogischen Fortschritt, was sich bei so viel apokalyprischen Denken heute schon fast absurd liest.
Doch er veröffentlichte auch Gedanken zur Arbeit und zum Lernen wie das obige Zitat. Vor gut einem halben Jahrhundert bereits hielt er die in Amerika und auch bei uns vorherrschende Einstellung zur Lohnarbeit einen für im Grund antiqiert. Wenn jeder erwachsene Mensch die quasi religiöse Verpflichtung hat, einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen, weil sonst der soziale Tod droht, dann erhebt sich schon die berechtigte Frage: Cui bono? Wozu?
Fuller hielt hielt ganz offenkundig wenig von der Art und Weise, wie wir Arbeit und Wirtschaft organisieren, indem wir jedem Menschen einen Erwerbszwang auferlegen.
Das tayloristisch-fordistische Konzept der Fließbandarbeit lehnte er ebenso ab wie die Idee einer Existenzsicherung durch Arbeit. Ich denke, er hätte die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens schon damals gut gefunden.

Was er damals nicht erkennen konnte, ist daß durch die technologische Entwicklung heute immer mehr Menschen in finanziell prekären Situationen landen oder bei Bullshit-Jobs (David Graeber) ihre Zeit mit sinnlosem Zeug vertun (bzw. den „Kontrolleur der Kontrolleure“ spielen). Bei aller Einsicht fehlte Fuller die soziologische Erkenntnis, daß unser Wirtschaftssystem existentiell davon abhängt, daß es Gewinner und Verlierer gibt und deshalb zwangsläufig seine Mißstände reproduziert. Fuller war forschrittsgäubig, er war Utopist, das macht ihn interessant und sympatisch – auch heute noch. Aber er war privilegiert, und auf soziale Fragen wußte er keine Antwort – er war kein Soziologe, sondern Architekt und Erfinder.
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